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Presse-echo
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podi
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PEcho
Darmstädter Echo,
21.9.2009
In seiner Musik liegt viel Botschaft
Jazz gegen Apartheid:
In der Bessunger Knabenschule wird klar - Johnny Dyanis’ Texte und Töne
sind lebendig geblieben |
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DARMSTADT. Das
Projekt „Jazz gegen Apartheid – Die Musik Johnny Dyanis“ geht zurück auf
das Jahr 1986, als der Bassist, Pianist, Komponist und Sänger eine Band
aus südafrikanischen Flüchtlingen und Europäern zusammenstellte, um
musikalisch gegen einen erneuten Ausnahmezustand in seinem Heimatland
Südafrika zu protestieren. Nach einem ersten Konzert im Berliner
„Quartier Latin“ starb dieser leidenschaftliche Kämpfer gegen die
Willkür dann jedoch mit nicht einmal 41 Jahren. Seine Ideen werden aber
wachgehalten – durch eine Initiative der Frankfurter Projektgruppe
„Kultur im Ghetto“. Seit fast 25 Jahren und in über 60 Konzerten hat sie
die Erinnerung an Johnny Dyanis gepflegt. Nun gastierte die
international besetzte achtköpfige Band am Freitag erstmals in
Darmstadt.
In der Bessunger
Knabenschule waren renommierte Jazzmusiker zu hören, die ein enges
Verhältnis zu Johnny Dyani hatten und seine Kompositionen lebendig
erhalten. Aus dem Exil heraus hat er Katastrophen im Südafrika der
sechziger, siebziger und achtziger Jahre chronologisch zu musikalischen
Momentaufnahmen gemacht. Seine Themen sind Persönlichkeiten der
Zeitgeschichte wie ein zu Tode gefolterter Gewerkschaftsführer („Song
for Biko“), Lebensbilder von Freunden („Portrait of Mosa Gwanga“, „Lady
Lilian Ngoyi“, „Blues for Moyake“ oder „Kippieologie“), geschichtliche
Ereignisse wie die Bildung einer demokratischen Gegenbewegung („United
Democratic Front“), aber auch Landschafts- und Milieustudien („Appear“,
„Roots“).
Sie haben eine
liedhafte, emotionale, aber auch dramatisch geprägte Melodik, eine
gesanglich bestimmte Spielweise aller Instrumentalisten und eine
fulminante rhythmische Energie. Gespeist sind sie aus der
südafrikanischen Xhosa-Kultur, die sich verwandt zeigt mit der
europäischen Free-Jazz-Szene.
All dies wird im
Projekt „Jazz gegen Apartheid – Die Musik Johnny Dyanis“ als Gedankengut
weitergeführt. Dafür stehen das mächtige Tenorsaxofon von John Tchicai,
das flexible und polyrhythmische Schlagzeug Makaya Ntshokos, die
blubbernde Trompete und das Flügelhorn Harry Becketts. Gerade sie sind
mit dieser Musik vertraut, mit ihrer Dynamik, der inhaltlichen
Sprengkraft, doch auch ihre Mitspieler haben sie aufgesogen: Claude
Deppa an der Trompete, John Edwards an seinem obertonreich gespielten
Kontrabass, Allen Jacobson an Posaune und Euphonium sowie Christopher
Dell und Daniel Guggenheim an Vibrafon, Tenor- und Sopransaxofon. Ihre
gemeinsame Musiziersprache ist deutlich, unerschütterlich wie ein
Monument.
Den Kompositionen
Johnny Dyanis verleiht sie stetige Glanzlichter und lässt sie zu
Meilensteinen einer wahrhaftigen musikalischen Bewertung werden. So kann
keiner ihre bleibende Gültigkeit bezweifeln, zumal der nicht, der gegen
Schrecken und Katastrophen in der Welt sein Wort erhebt. Musik mithin,
die eine universale Botschaft vermittelt. |
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Ulfert
Goeman -
21.9.2009 |
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P presse-faz-Magel
F.A.Z.,
26.10.2006 - Konzert
Song für Steve Biko
Von Eva-Maria Magel
(25. Oktober 2006)
Ausgesprochen
fröhlich und eingängig klingt das Motiv, typisch südafrikanisch der Rhythmus. Es
scheint eine eher leichtfüßige Spaßnummer mit Unisono-Passagen für immerhin acht
Musiker zu sein. Der Titel hingegen erinnert an ein Drama: "Song for Biko" heißt
die Komposition, die Johnny Dyani 1978 komponiert hat - ein Jahr nachdem die
südafrikanische Polizei den Studentenführer Steve Bantu Biko zu Tode geprügelt
hatte. Dyani, der südafrikanische Jazzbassist und Komponist, lebte damals schon
lange im Exil.
1986 begründete Dyani eine Reihe, die bis heute zu
Workshops und Konzerten in Frankfurt führt: "Jazz gegen Apartheid". Mag die
Apartheid auch seit 12 Jahren überwunden sein - der von Jürgen Leinhos und der
Gruppe "Kultur im Ghetto" organisierte Musikaustausch heißt noch immer so. Dyani
hatte sich ein Netzwerk aus Musikern, südafrikanischen und internationalen,
gewünscht. Was daraus wurde, konnte er selbst nicht mehr sehen - er starb vor 20
Jahren, am 26. Oktober 1986.
Gefeierte Legenden
Ihm zu Ehren spielen seine Kollegen nun in Frankfurt
Dyanis Kompositionen. Dieser hatte nicht nur politischen Ereignissen, sondern
auch Weggefährten Songs gewidmet. "Year of the Child", "Musician's Musician"
oder den flotten Blues für den Saxophonisten Nick Moyake haben Harry Beckett
(Flügelhorn), John Tchicai (Saxophon), Claude Deppa (Trompete) und Makaya
Ntshoko (Schlagzeug) teilweise schon mit Dyani selbst gespielt. In immer neuen,
zum Teil recht originellen Konstellationen mischen sie sich nun mit Jürgen
Wuchner (Baß), Christopher Dell (Vibraphon), Daniel Guggenheim (Saxophon) und
Allen Jacobson (Posaune).
Mehr als nur ihrer Titel wegen belegen Dyanis
Kompositionen die eigene Tradition des südafrikanischen Jazz. Miriam Makeba,
Hugh Masekela und Abdullah Ibrahim sind heute auf der ganzen Welt gefeierte
Legenden. Auch Musiker wie Dyani, die ihre Heimat der Apartheid wegen verlassen
mußten, haben seit den sechziger Jahren die internationale Jazz-Szene
befruchtet. Umgekehrt integrierten sie die jüngsten Strömungen in ihre
Musiktradition - Dyani etwa spielte mit Charles Mingus, Roland Kirk oder Don
Cherry.
Die meisten Musiker leben bis heute außerhalb
Südafrikas. Nur einer, der nun für eine Woche in Frankfurt ist, lebt wieder in
seiner Heimat Kapstadt: der Schlagzeuger Louis Moholo. Seit einiger Zeit bemüht
sich die südafrikanische Kulturpolitik um die Wiederbelebung des Jazz, im
September wurde das Cape Town Jazz Orchestra unter der Leitung Abdullah Ibrahims
gegründet. Noch aber sind nicht nur Auftrittsmöglichkeiten in Südafrika rar.
Auch die Verbindung dessen, was die Exilanten gelernt und erfahren haben, mit
den musikalischen Entwicklungen im Land steckt noch in den Kinderschuhen.
Deshalb heißt das Motto der Reihe diesmal auch "Zwischen Heimkehr und Exil". Das
erste Konzert in der Alten Nikolaikirche jedenfalls zeigte, daß die
südafrikanisch-internationale Kooperation eine ungeheuer hörenswerte Verbindung
ist.
Weitere Konzerte heute in der Maria-Hilf-Gemeinde,
Gallusviertel, am Freitag in der Cyriakuskirche Rödelheim, Samstag in der
Paul-Gerhardt-Kirche, Niederrad und Sonntag in der Jacobskirche Bockenheim.
Beginn jeweils um 19.30 Uhr, Informationen im Internet unter www.
kultur-im-ghetto.de
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Text: F.A.Z., 26.10.2006 Bildmaterial: F.A.Z. -
Wonge Bergmann
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Pesse-taz-broecking
24.10.2006
Jazzkolumne
Ein Neuanfang muss her
Nirgendwo ist Jazz so populär wie in Südafrika.
Musiker suchen nach dem
Post-Apartheid-Sound.
Ein Festival in Frankfurt stellt
sie vor
CHRISTIAN BROECKING
David Murray hat ihm erlaubt, seinen Erkennungssong "Flowers
for Albert", einst als Hommage an den Freejazz-Saxofonisten Albert Ayler
gedacht, in "Flowers for South Africa" umzubenennen. Beim Cape Town
International Jazz Festival 2005 feierte der Schlagzeuger Louis Moholo mit
diesem Song die Rückkehr in seine Heimat. Moholo, der einzige Überlebende der
südafrikanischen Jazzband Blue Notes, die 1964 ins europäische Exil ging, wuchs
im Langa Township in Kapstadt auf, und hatte im November 2004 beim Berliner
Total Music Meeting angekündigt, dass er nach 40 Jahren wieder nach Südafrika
zurückkehren werde. Ob die südafrikanische Szene schon für die Avant-Exkurse
seiner Sonke-Band - Sonke heißt in der Xhosa-Sprache "Wir" und soll das nicht
mehr nach ethnischer Herkunft getrennte Lebensgefühl symbolisieren - bereit ist,
bleibt abzuwarten. Bislang hat Moholo weder ein unbefristetes Aufenthaltsrecht
noch eine Rente erhalten.
Jetzt kommt er für sechs Konzerte nach Frankfurt: Beim
Festival "Jazz gegen Apartheid", das in diesem Jahr unter dem Motto "Heimkehr
oder Exil" stattfindet, spielt er neben John Tchicai, Claude Deppa und Harry
Beckett auch mit dem Schlagzeuger Makaya Ntshoko, der ebenfalls Anfang der
Sechzigerjahre emigrierte und seitdem in der Schweiz lebt. Moholos Generation
ist nach wie vor hin- und hergerissen. Man scheut die Heimkehr, weiß nicht
recht, was einen erwartet. 40 Prozent Arbeitslosigkeit; Armut und Aids sind zwar
noch längst nicht im Griff; akzeptabler Wohnraum fehlt für die Mehrheit der
Bevölkerung, das Berufsausbildungssystem kommt nur schleppend voran, doch die
Post-Apartheid-Generation in seiner Heimatstadt verbreitet Zuversicht.
Die englische Musikjournalistin Gwen Ansell lebt schon
lange in Südafrika und hat in ihrem Buch "Soweto Blues. Jazz, popular music and
politics in South Africa" aus hunderten von Interviews mit südafrikanischen
Jazzmusikern, die sie in den letzten zwölf Jahren geführt hat, die äußerst
komplexe Geschichte des Jazz vor und nach der Apartheid geschrieben. Ob der
Sänger Tsepo "Village Pope" Tshola oder der Jazzgitarrist Lucky Ranku, viele
südafrikanische Sänger und Musiker waren während der Apartheid als musikalische
Botschafter des African National Congress (ANC) im Exil unterwegs, darunter der
Pianist Abdullah Ibrahim als wohl bekanntester Vertreter. Mehr noch, dank des
vom Trompeter Hugh Masekela gegründeten "Musicians and Artists Assistance
Programme South Africa" gelang es nicht bloß Masekela selbst, sondern auch
Tshola, seine langjährige Drogenabhängigkeit zu überwinden.
Schon zur Post-Apartheid-Generation gehört die
Sängerin Simphiwe Dana, Tochter eines Priesters aus dem Südosten der Republik,
die einen Collegeabschluss in Grafikdesign hat und mit ihrer Debüt-CD "Zandisile"
spektakuläre Erfolge feierte. Danas Thema ist die afrikanische Identität.
Deshalb singe sie auch in Xhosa, eine der elf Sprachen Südafrikas. Ihre Lehrer
hätten ihr damals noch gesagt, dass man es nur mit der englischen Sprache zu
etwas bringen könne, doch diese Zeit sei jetzt vorbei. Nur wenn sie Xhosa
spreche, fühle sie sich als afrikanische Frau "vollkommen", und Jazz sei für sie
die Musik, die alles vereint.
Der weiße Bassist und Komponist Carlo Mombelli, der
Südafrika 1987 für elf Jahre verließ, unter anderem auch in München lebte, ist
auch auf Danas CD zu hören. Er rechnet sich der "Protestgeneration" zu, also
jenen, die heute zwischen 35 und 55 sind, und er will einen Neuanfang. Denn die
Verbindung von Jazz, Exil und Anti-Apartheid führe nicht mehr weiter. Der
Autodidakt macht deutlich, dass er es jetzt mit einem künstlerischen Nachwuchs
zu tun habe, der eine fundierte musikalische Ausbildung erhält und dadurch auch
die Chance, seine Fähigkeiten eigenständig zu erweitern.
Es gibt die Haltung, dass nur die gelitten haben, die
ins Exil gingen, berichtet auch Gwen Ansell. Doch in den Siebzigern und
Achtzigern seien auch viele in ein inneres Exil gegangen - Menschen, die keine
Möglichkeit für sich sahen, ins Ausland zu gehen, meist weil sie familiäre
Verpflichtungen hatten. Einer von ihnen ist der Tenorsaxofonist Winston Mankunku
Ngozi - er hörte für lange Zeit einfach zu spielen auf. Es gehe nicht mehr um
den Kampf gegen Apartheid, sagt Ansell, südafrikanische Musiker würden heute
Probleme thematisieren, die Menschen in anderen Teilen der Welt auch haben.
Der Saxofonist McCoy Mrubata wendet sich in "Talk
about it" gegen Gewalt gegen Frauen, und Zim Ngqawana, ebenfalls Saxofonist,
komponierte "Globalization". Südafrika sei möglicherweise das einzige Land in
der Welt, in dem Jazz das ganze Jahr über ein Thema ist, berichtet der 1968
geborene Pianist Andile Yenana. Die Wochenendzeitungen seien voll davon, und die
Leute hören sich zusammen mit Nachbarn und Freunden Jazzplatten zu Hause an.
Doch das sei eben auch schon die Rezeptionsweise seiner Eltern gewesen, sagt
Yenana. Eine Ästhetik des Jazz, die dem Leben nach der Apartheid entsprechen
könne, fehle völlig.
|
Die Konzerte finden vom 24. bis 29. 10. in
verschiedenen Kirchen & Gemeindezentren statt ( www.Kultur-im-Ghetto.de)
taz vom 24.10.2006, S. 17, 176 Z. (Kommentar),
CHRISTIAN BROECKING
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Pesse-eisenach
Vermächtnis in Eisenach
Wolfgang WICHT - Thüringer
Allgemeine am 11.11. 2007
Die vom Frankfurter Projekt
"Kultur im Ghetto" getragene Reihe "Jazz gegen Apartheid"
hob Mbizo Dyani
1986 aus der Taufe. Die Dokumente der Geschichte wurden jetzt dem
Jazz-Archiv
Eisenach übergeben.
EISENACH. Die Überlassung
bestätigt den anerkannten Ruf, den das Eisenacher Archiv besitzt.
Es ist ein
Magnet,
der neues Material anzieht. Der südafrikanische Jazz-Bassist Mbizo Dyani wollte
damals ein musikalisches
Zeichen in der Anti-Apartheidbewegung setzen. Exilmusiker und
Sympathisanten um
sich zu scharen und
mit ihnen zu touren, hieß für ihn, Jazz zu politisieren.
Dyani starb tragischerweise
nach dem ersten Konzert in Berlin im Oktober 1986. Zu den Musikern
der ersten
Stunde,
die sein Vermächtnis weitertrugen, zählten der Saxophonist John Tchicai, der
Trompeter Harry Beckett sowie der
Drummer Makaya Ntshoko. Sie gehörten auch in Eisenach zu
dem Quartett, das der
überaus virtuose jüngere
englische Bassist John Edwards vervollständigte.
Die gestandenen Modern- und
Free-Jazz-Barden erfüllten im Eisenacher Jazzclub selbst hochge-
schraubte
Erwartungen.
Ihr Programm widmete sich ganz den originellen Kompositionen Dyanis.
Musikalisch
entfesselten sie eine Orgie des
modernen Jazz mit rasanten Chorussen, sensiblem
Zusammenwirken und hochkomplex
strukturiertem, freilich auch
wundersam swingendem Rhythmus -
spontan, intensiv, urwüchsig, wild und doch in altersweiser Art ins rechte Maß
gebändigt.
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PPresseStache-FR
Vom Glück der Geräusche
Stühlerücken & mehr bei Stache
VON JAMAL TUSCHICK
In der Dunkelheit erscheint die Bühne als Blackbox. Leuchtende
Rechnermäuse zersetzen diesen Eindruck. Das sind Tonproduzenten, die den Zuhörer
zu assoziativen Ausholbewegungen veranlassen. Vielleicht klingt in den Ohren
eines Wals ein U-Boot auf Schleichfahrt so wie das, was der im Erzgebirge
gebürtige und bei Leipzig lebende Komponist und Instrumentenbauer Erwin Stache
im Jubiläumsauftrag der nun seit zwanzig Jahren bestehenden Projektgruppe
"Kultur im Ghetto" mit dem Frankfurter Jugend-Musik-Ensemble auf der Bühne des
Gallus-Theaters akustisch installiert.
Zunächst dominieren maritime Vergleiche den Einfühlungsvorgang in das
gleichermaßen kompositorische, choreografische und objektartige Unterfangen mit
dem enigmatischen Titel Zahlen! Spiele? Stache ist von Haus aus auch
Mathematiker und Physiker. Er zählt zu den DDR-Pionieren der elektronischen
Musik. Womöglich helfen solche Informationen dem Verständnis der in mehrfacher
Hinsicht wirksamen Anlage auf die Sprünge, mit der zurzeit im Gallus-Theater
kleine Klangwunder und Tonattacken erzeugt werden, die wie surrealistische
Assemblagen aufgenommen werden können. Sie heißen "Mäuse", "Münzen" - oder
"Flaschen". Da schaffen die jungen Musiker mit präparierten Plastikflaschen
einen Sound, mit ständigem "Frankfurtbezug", entsprechend des Arbeitsauftrags.
Ähnlich greifbar aufzufassen ist der instrumentelle Einsatz von Maurerwerkzeug
in einer Komposition von Stefan Schleiermacher. Schwieriger scheint eine verbale
Übersetzung des "Kilo-Ohm"-Erlebnisses. Dabei agiert das Ensemble an
Metallstangen, die als "stehende Objekte" mit einem elektronischen System
verbunden sind, das permanent den Widerstand zwischen den Stangen misst. Die
artistisch doppelt verpflichteten Akteure bringen eine Geräuschkulisse auf die
Bühne, indem sie manuell Verbindungen zwischen den Stangen herstellen. Was bei
diesem Vorgang visualisiert wird, evoziert das Bild von einem Maschinentanz, wie
überhaupt viele Abläufe in Zahlen! Spiele? eher an einen Geräte-Einsatz
als an eine Kunsttat denken lassen.
Die Stadt kommt als Börsenplatz vor, wenn die stets auch darstellend agierenden
Musiker mit aufgesagten Kurs-Angaben eine Maschine gleichsam füttern, die den
Text so wiedergibt, dass er blechern wie ein Wehrmachtsbericht aus dem
Volksempfänger klingt. Solche Metamorphosen sind beeindruckend, zumal man sie
unwillkürlich in einen Zusammenhang mit aufwendiger Technik setzt. Dieser Aspekt
entfällt in einem Stück, bei dem Stühle in einem Kreis herumgeschoben werden.
Aber auch hier ist die Wirkung erstaunlich, weil einem Alltagsgeräusch eine neue
Wahrnehmungschance gegeben wird. Bei Gelegenheit ringt der Komponist am Klavier
mit den Händen und auf einer Leinwand wird ein Kampf unter Schuhen als
Projektion gezeigt.
Die akustische Dimension der Auseinandersetzung hängt mit Kontaktplatten
zusammen. Sie werden getreten, wie die Armen dieser Welt. Diese Assoziation ist
vom Veranstalter gewollt. Als musikalische Kapitalismuskritik lässt sich indes
das Stachige Ganze nicht begreifen, vielmehr als eine eigene, die
Hörgewohnheiten des Publikums herausfordernde Sphäre. Es ist Musik und Mehr,
kurz eine musikalische Mär vom Glück der Geräusche und befreiten Tönen.
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PPresseStache-FAZ
Geistreiche
Hüpfmusik
Achim Heidenreich
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FAZ Achim Heidenreich Januar
2005
Erwin Stache im Gallus
Theater
Wer wilI fleißige
Handwerker sehen? Der mußte ins Frankfurter Gallus-Theater zu Erwin Staches
neuen Klanginstallationen und Instrumenten gehen. Mit welcher spielerischen
Leichtigkeit der bei Leipzig lebende Physiker, Komponist,
Instrumentenerfinder, Performancekünstler und nicht zuletzt Pädagoge
gemeinsam mit den Spielern des Jugend-Musik-Ensembles Frankfurt den
Aufführungssaal selbst zum Instrument umfunktionierte, war klanglich
erfrischend und überzeugte wegen seiner schillernden Vielfalt.
Ob im lautstark
brummenden Stuhlkreisel, der akustisch an die "lntonatori rumori" der
italienischen Futuristen erinnerte, in der exakt nach klassischem
Sonatensatzprinzip ausgefeilten, lebenden Hammermechanik der Heimwerker oder
den fröhlich daherknurrenden Rollwägen, als seien die Roboter im "Krieg der
Sterne" auf Handbetrieb umgestellt worden und als hätte es ihnen die Sprache
verschlagen: Alles fügte sich am Ende des Konzerts zu einer
musikaIisch-klanglichen Erfahrung zusammen, die erstens Spaß gemacht hat und
zweitens von den Mitwirkenden ein sehr hohes Maß an Konzentration, aktiver
Klanggestaltung, Spontaneität und zuweilen auch Virtuosität forderte, was
souverän eingelöst wurde. Erwin Stache selbst bestach mit seinem schwarzen
Theater am Klavier. Ein Videoauge projizierte seine eher auf den Tasten
miteinander kämpfenden Hände auf eine Leinwand, was im Verbund mit den
eruptiven Klängen sofort für eine stimmige Dramaturgie sorgte. Das war beste
Stummfilmmusik, bei der jede Geste in unmittelbaren Klang überführt wurde,
was wieder Staches Hintergründigkeit bewies. Musik, egal welche, hat immer
Bezug zum Bild, kommentiert die Szene oder verstärkt die Affekte - bei
Stache eine klangliche Verdoppelung des Handgemenges.
Aber nicht nur wegen
dieser prägnanten Theatralik geriet der von der Projektgruppe Kultur im
Ghetto veranstaltete Abend zu einem Konzert zum Sich-Bewegen,
Geräusche-Erzeugen oder einfach nur Hüpfen. Was gar nicht so einfach war: In
einem Kompaßspiel mit ständig rotierender Nadel, einem zentrifugal
kreisenden Seil, mußten die Akteure als animierte Himmelsrichtungen alle
Sinne beieinander haben, um das rhythmische Muster zu wahren; Bodenkontakte
zu einem Sampler lösten bei jedem West-, Nordwest- oder Südostsprung neue
Klänge aus, was schließlich zu einem vitalen Schlagzeugsolo für viele
Mitspieler führte. Die Stache-Familie - Sohn Benjamin, Jahrgang 1985, baut
und erfindet eifrig mit - macht dadurch Musik unmittelbar körperlich
erfahrbar. Geistreich.
ACHlM HEIDENREICH
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P goetheplaket
Ehrung für Jazzer
Emil Mangelsdorff
Saxofonist erhielt Goethe-Plakette des Landes
Vom 21.01.2006
WIESBADEN (dpa) Für seine Verdienste um
das kulturelle Leben Hessens hat der Frankfurter Jazz-Musiker Emil
Mangelsdorff gestern die Goethe-Plakette des Landes erhalten.
Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU) zeichnete den 80-jährigen Saxofonisten
in Wiesbaden aus und würdigte ihn als hervorragenden Musiker und Vorbild für
junge Menschen.
Mangelsdorff ist der ältere
Bruder des im vergangenen Jahr gestorbenen Posaunisten Albert Mangelsdorff.
Schon als Jugendlicher spielte er die damals vom NS-Regime verbotenen
Swing-Klassiker. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er ein Wegbereiter der
deutschen Jazz-Szene und gilt heute als einer der weltbesten Saxofonisten.
Mangelsdorff versteht sich als Künstler mit gesellschaftlicher Verantwortung
und berichtet in Gesprächs-Konzerten über die kulturelle Unterdrückung im
NS-Staat.
Die Goethe-Plakette ist die
höchste Auszeichnung des hessischen Wissenschaftsministeriums. Sie ist
Personen vorbehalten, die durch ihr Lebenswerk in besonderer Weise zur
kulturellen Entwicklung des Landes beigetragen haben. Zu ihren Trägern zählen
der Philosoph Max Horkheimer, der Komponist Carl Orff, der Literaturkritiker
Marcel Reich-Ranicki und der Karikaturist Chlodwig Poth.
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Emil-FR
Printausgabe 24.Oktober 2005
-
Emil Mangelsdorff
im Gesprächskonzert
Swing tanzen
verboten - als Jazzmusiker im
,Dritten Reich’
Von der Löwenjagd im Taunus
Alt-Jazzer Emil Mangelsdorff
erzählte in der Rödelheimer
Cyriakuskirche von seinem musikalischen Widerstand gegen
das NS-Regime
Im
Dritten Reich waren Swing und Jazz aIs „entartete Musik" verfemt.
Jazz-Legende Emil Mangelsdorff, in Rödelheim aufgewachsen,
berichtete bei einem Gesprächskonzert in der evangelischen
Cyriakusgemeinde von seinen Erfahrungen im Nationalsozialismus.
RÖDELHEIM Gerademal
acht Jahre war Emil Mangelsdorff alt, als Hitler in Deutschland die
Macht ergriff. Schon als kleiner Junge habe er die Vorgehensweisen des
unmenschlichen Systems erkannt: „Ich wuchs in einem antifaschistischen
Haushalt auf" sagte der Jazzmusiker. Sein Vater, ein Buchbinder, führte
ihn früh in die Literatur der Arbeiterbewegung ein und lehrte ihn auch
"den friedlichen Ungehorsam". Etwa gegenüber einem
nationalsozialistischen Milchmann in der Straße, den der junge Emil
partout nicht mit "Heil Hitler" zurück grüßen wollte. Der Vater riet ihm
deshalb, dem renitenten NS-Mann „Drei Liter" zu entgegnen.
Die Familie
Mangelsdorff lehnte die Propaganda des Nazistaates ab und hörte
ausländische Radiosender: Emils erste Begegnung mit der Musik. "Auf
Radio Luxemburg hörte ich mit zehn zum ersten Mal Duke Ellington und
Louis Armstrong", erinnert sich Mangelsdorff. Von da an habe ihn der
Jazz nicht mehr losgelassen, erzählt er der Zuhörerschar in der
evangelischen Cyriakuskirche. Mit zwölf Jahren erhielt er das erste
Akkordeon von seinen Eltern, auf dem er fortan versuchte, die Stücke der
afroamerikanischen Vorbilder nachzuspie!en. Mit Erfolg, denn kurze Zeit
später trat der jugendliche Musiker in dem ehemaIigen Frankfurter Lokal
"Rack" auf und unterhielt das dortige, viel ältere Publikum an den
Wochenenden.
"Zu dieser Zeit spürte
ich allerdings schon einen scharfen Wind gegen meine Musik", erzählt
Mangelsdorff. Die Hetze in Zeitungsartikeln gegen den von den Nazis
abwertend als „Dschungelmusik“ titulierten Jazz mehrte sich. Die
Ausstellung "Entartete Musik" wurde 1938 eröffnet, die den Besuchern
verdeutlichen sollte, welche Musik sie in Zukunft meiden sollten. Die
sogenannte "Swing-Jugend" mit ihrer "Nigger-Musik" müsse in Arbeits-
oder Konzentrationslager, hieß es damals. In den Schulen wurden
Denunziantenberichte gesammelt, auch über Mangelsdorff. Immer häufiger
kamen Gestapobeamte ins "Rack“, um die dortige Liedauswahl zu
kontrollieren. Mit einem Mal waren englische Titel strikt verboten. "Wir
wurden für geistesgestört erklärt und unsere Schallplatten in den Main
geworfen", berichtet Mangelsdorff. Der junge Musiker gab jedoch nicht
auf und umging das Verbot raffiniert, indem er den Songs einfach
deutsche Titel gab. So wurde aus einem "Tiger Rag“ beispielsweise "Die
Löwenjagd im Taunus“. Trotz aller Vorsicht wurde Mangelsdorff jedoch
schließlich von der Gestapo verhaftet und ohne Prozess für 20 Tage
eingesperrt. Die Verehrung für die amerikanische Musik aber blieb
ungebrochen: Mit 16 Jahren kauften die Eltern dem musikalischen
Antifaschisten ein professionelles Akkordeon und er begann das Studium
der Klarinette an der Musikhochschule Frankfurt.
„Die Nationalsozialisten haben mir
mehrere Jahre meines Lebens genommen“, bilanziert Mangelsdorff. Denn
kaum Student, wird er einberufen und 1944 nach Russland in den Krieg
geschickt. Nach der Kapitulation gerät der damals 20-jährige für fast
fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft. Danach erst erlangt er endlich die
Freiheit für sich und seine Musik.
Markus Bulgrin |
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P
PresseEmil-FNP
Printausgabe
vom 24.10.2005
Emil Mangelsdorff
erzählte uns, wie er die Nazi-Zeit
erlebte
Von Patricia C. Borna
Rödelheim.
«Ich habe siebeneinhalb Jahre meines Lebens fremdbestimmt gelebt. Dass die
Mehrheit der Deutschen Hitler tatsächlich unterstützt haben, ist mir noch heute
schleierhaft, gerade in Anbetracht der mehr als 50 Millionen Toten, die dieser
sinnlose Krieg gefordert hat»: Im Gemeindehaus der evangelischen Cyriakuskirche
konnte man fast eine Stecknadel fallen hören, so gebannt und gleichzeitig
schockiert lauschten die Zuhörer den Worten des Frankfurter Jazzmusikers Emil
Mangelsdorff am Freitagabend. In der Veranstaltung «Swing tanzen verboten - als
Jazzmusiker im ,Dritten Reich’» erzählte der 80-jährige Saxofonist von seinen
persönlichen Erfahrungen während der Herrschaft der Nationalsozialisten.
Mit seinen Musikern Janusz Maria
Stefanski (Schlagzeug), Götz Omers (Bass) sowie Bob Degen am Klavier spielte er
zwischenzeitlich Klassiker der Jazzliteratur. Die Veranstaltung wurde
organisiert von der Friedensinitiative Rödelheim. «Als Hitler an die Macht kam,
sagte meine Mutter zu uns: Jetzt gibt es Krieg», beginnt Mangelsdorf seine
Geschichte, der an einem Tisch mit einer schönen Stehlampe sitzt, im Hintergrund
umrahmt von seinen Musikern. «Ich komme aus einem Elternhaus, das sich schon
sehr früh gegen das totalitäre Gedankengut Hitlers gewendet hat, deswegen kam
ich auch relativ einfach an Bücher wie ‚Im Westen nichts neues'», so der
Musiker, der die seine Erinnerungen teilweise humoristisch aus der Perspektive
des jungen Mannes erzählte, der er zur Zeit der Machtergreifung war.
«Mein Vater war Buchmacher und hat sich immer mit Nachbarn und Freunden zu
kritischen politischen Gesprächen getroffen.» Den ersten Kontakt mit seiner so
geliebten Musik hatte Mangelsdorff, als er begann, Radio Luxemburg an seinem
Empfänger zu verfolgen. «Dort spielten sie immer eine bunte Mischung aus E- und
U-Musik, französische Chansons und dann ein klassisches Stück. Dann kam der
Jazz. Ich erkannte bald den großen Unterschied zwischen den seichten deutschen
Schlagern und dieser Musik, in deren Seele so viel Herz ist. Louis Armstrongs
Stimme hat mich besonders in den Bann gezogen», sagt Mangelsdorff.
Von seinen Eltern, die in einfachen Verhältnissen lebten, erbettelte er zunächst
nur ein einfaches Akkordeon, bevor er sie erst viel später zu einem
professionelleren Instrument überreden konnte. Später studierte er an der
Musikhochschule sogar Klarinette. «Bald stellten wir fest, dass es einen
regelrechten Gegenwind zu unserer Musik gab. Pejorative Bezeichnungen wie
‚entartete Musik' oder ,Dschungelmusik' waren an der Tagesordnung, die
faschistische Presse wendete sich gegen uns», erzählte Mangelsdorff. Er habe
schon damals erleben müssen, wie junge Männer schon vor 1939 dazu ausgebildet
worden seien, Bauernhöfe im Ostfeldzug zu überfallen. Als 15-jähriger spielte
Mangelsdorff während des Westfeldzugs mit seinen Musikerkollegen in einem Hotel,
worauf die Gestapo natürlich aufmerksam wurde. Die Musiker hatten den Jazztiteln
aus Gründen des Widerstands deutsche Namen gegeben: «Aus dem St. Louis Blues
wurde die ,St. Ludwigs Serenade' und aus dem ‚Tiger Rag' die ,Löwenjagd im
Taunus'», erzählt Mangelsdorff mit einem Lächeln auf den Lippen. Nach zwei
Befragungen, wurde er von der Gestapo für 20 Tage in Untersuchungshaft gesperrt
und danach in den Arbeitsdienst einberufen. In der Infanteriedivision wurde er
1944 in den Russlandfeldzug geschickt, kam schließlich in Kriegsgefangenschaft,
wo er auf 45 Kilogramm abmagerte. «Es ist wichtig, dass es Leute gibt, die
einmal sagen, was damals los war», sagt Emil Mangelsdorff zum Abschluss.
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P |
Printausgabe vom 24.01.2005
PresseStache-FNP
Der Hammer bearbeitet die Worte
Von Marcus Hladek
Klangkünstler Erwin Stache führte im Gallus-Theater Frankfurt mit dem
Jugend-Musik-Ensemble «Zahlen! Spiele?» auf.
Neue Musik, ob mit oder ohne Elektronik, eifert erstens weithin dem
«autonomen» Kunstwerk Adornos nach und ist zweitens unpopulär. Beides mal
mehr, mal weniger. Da tauchen zitatweise – meist hochgradig verfremdet –
Klänge aus Fabrikhallen und Sprachmaterial von Hölderlin bis zu Briefen aus
dem Widerstand in Kompositionen auf.
Mit solcher Musik, die für ihre Freiheit der Form nicht den engagierten
Weltbezug aufgeben will, deckt sich dem Ehrgeiz nach das neue Werk des
Leipziger Komponisten Stache, eines Erbauers klingender Objekte und
Installationen. Seine unklassische Klassik, die buchstäblich mit dem Hammer
(auf Holz und Metall) musiziert, greift auf Wortfetzen von der Frankfurter
Börse (Aktien und ihre Kurse), die Kolonialgeschichte der Silbergewinnung in
Südamerika, Münzgeklingel und manches mehr zurück, um das Material einer
rigorosen Bearbeitung zu unterwerfen.
Das Ergebnis «Zahlen! Spiele?» kann sich durchaus hören und sehen lassen.
Ersteres, weil der kompositorische, vielfach improvisatorische und
bewegungsbedingte Umgang mit Erwin Staches mehr szenisch als orchestral
aufgestellten Instrumenten von den jungen Musikakteuren im schwarzen und
weißen Kostüm (Spielleiter: Benjamin Stache) ausgefeilt und reflektiert ist.
Bloße Aufzählung liefert ein besseres Echo dessen, was da erklingt, als lange
Beschreibungsversuche des Klangs und der Aktionen (für die sich das Ensemble
auch der Videoprojektion und eines klingenden Hüpfseil-Karussells bedient). In
Verwendung sind: vibrierende Stühle, Hämmer und Metallobjekte, Holzstäbe,
Klangstelen, rollende Sprachwagen, Computermauscontroller, Würfelräder mit
Systemzerhackern, sensitive Trittflächen, Klanghebel,
Zentrifugalseilkraft-Sampler, präparierte Pfandflaschen, Varianten des
berührungslosen Theremin.
Ein seltsam komisches, aber spannendes Stück Musiktheatralik, das dem
Frankfurter Gallus-Theater wohl anstand.
Ankündigung 18.01.05 (Christian Rupp):
«Kultur im Ghetto»
feiert mit
Stache-Konzert 20-jähriges Bestehen
Frankfurt (dpa) Mit einer
Uraufführung für präparierte Flaschen des Komponisten Erwin Stache feiert die
Projektgruppe «Kultur im Ghetto» an diesem Mittwoch (19. Januar) ihr 20-jähriges
Bestehen. «Kultur im Ghetto» organisiert in Frankfurt kulturelle Veranstaltungen
in Stadtteilen, die von den etablierten Anbietern nicht erreicht werden. Seit
ihrem Bestehen hat die Initiative rund 200 Konzerte und Ausstellungen angeboten.
Wie «Kultur im Ghetto» am Montag in Frankfurt weiter mitteilte, ließ sich der
Leipziger Komponist Stache für das Jubiläums-Konzert «Zahlen!Spiele?» von
Frankfurt als «Bankenstadt» inspirieren. In dem Konzert thematisiert der
Komponist mit Plastik-Flaschen den Fluglärm. Eine getanzte Choreografie auf
Kontaktplatten, die beim Betreten Töne erzeugen, soll auf die bestehenden
Gegensätze zwischen Arm und Reich hinweisen.
Morgendlichen Reinigungskolonnen widmet sich eine Komposition für einen selbst
erfundenen «Sprachwagen». Dieser erzeugt elektronisch beim Fahren verfremdete
Worte. Stache ist in der Musikszene durch seine Erfindungen von ungewöhnlichen
Instrumenten bekannt geworden. In Frankfurt trat er 2003 mit dem Ensemble Modern
auf.
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PPresseStache-Giessener
Christian Rupp
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Kultur ( Christian Rupp ) |
22.01.2005 |
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Fluglärm aus
Plastik-Flaschen
Uraufführungen mehrerer Werke des Leipziger Komponisten
Erwin Stache im Gallus-Theater |
FRANKFURT (cru). Nach und nach treten die Musiker auf die Bühne, schieben
ihre Stühle auf dem Holzboden vor sich her, so dass das dadurch
entstehende Geräusch immer stärker wird. Dieses Brummen scheint nun von
allen Seiten zu kommen, ist fast unerträglich laut. Plötzlich kehrt Ruhe
ein. "Die Stühle" nennt Erwin Stache seine Komposition, die mit 13 anderen
Werken des Leipziger Komponisten im Gallus-Theater uraufgeführt wurde.
Uraufführungen sind im traditionellen Musikbetrieb nicht gerade die Regel
- und wenn, dann sind sie artig in den Kontext altbekannter Werke
gebettet.
Nicht so bei Erwin Stache. Der Installationskünstler präsentierte zum
20-jährigen Bestehen der Projektgruppe "Kultur im Ghetto" rigoros
ausschließlich Neukompositionen. Die Initiative "Kultur im Ghetto"
organisiert Veranstaltungen in Stadtteilen, die von den etablierten
Kulturangeboten nicht erreicht werden.
Was ist Musik? Was will sie? Gibt es sie überhaupt? Oder nehmen wir -
entsprechend dem Diktum der Radikalkonstruktivisten - lediglich
Druckschwankungen wahr, die in unseren Hirnen Elektronengewitter auslösen?
Solche Fragen wirft Stache, der in der Musikszene durch seine Erfindungen
von ungewöhnlichen Instrumenten kein Unbekannter ist, mit seinen
Installationen auf. Denn er erschafft für seine Werke nicht nur neue
Instrumente, sondern setzt auch Alltagsgegenstände als Klangerzeuger ein.
Präparierte Flaschen, Kontaktplatten und Computer-Mäuse erzeugen bei ihm
Klänge, in Teller fallende Münzen, geschlagene Holzbalken und Regalhaken
dienen ihm als Instrumente. Dabei setzt Stache immer wieder Elektronik
ein, wenn er etwa Geräte zur Hautwiderstandsmessung einsetzt, um Bewegung
in Töne zu übertragen.
Die strenge formale Anlage entzieht den Installationen den Nimbus des
Chaotischen. Irgendwo begreift Stache Musik noch immer als tönend bewegte
Form. Im Werk "Zahlen! Spiele?" orientiert er sich thematisch an
Frankfurt. Präparierte Plastik-Flaschen sollen den Fluglärm thematisieren.
Eine getanzte Choreografie auf Kontaktplatten, die beim Betreten Töne
erzeugen, soll auf die Gegensätze zwischen Arm und Reich hinweisen.
Morgendlichen Reinigungskolonnen widmet sich eine Komposition für einen
selbst erfundene "Sprachwagen". Dieser erzeugt elektronisch beim Fahren
verfremdete Worte. Nur zuweilen stellt sich der Eindruck ein, hier wolle
jemand unter dem Deckmäntelchen der Auftragskomposition lediglich seine
neuen Instrumente präsentieren.
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PPresseStache-Welt
WELT KOMPAKT
Philipp Haibach, Januar 2005
FRANKFURTER NOTEN
Fluglärm in Flaschen
Mit einer Uraufführung für
präparierte FIaschen des Komponisten Erwin Stache feiert die Frankfurter
Projektgruppe „Kultur Im Ghetto" im Gallus-Theater morgen Abend um 20,00
Uhr ihr 20jähriges Bestehen. „Kultur im Ghetto" organisiert kulturelle
Veranstaltungen in Stadtteilen der Mainmetropole, die von den
etablierten Anbietern nicht erreicht werden. Die Projektgruppe versteht
ihre Arbeit von Beginn an so, dass gesellschaftlich relevante Themen
aufzugreifen und von kompetenten Musikern in Töne zu setzen sind. Seit
ihrem Bestehen hat die Initiative rund 200 Konzerte und Ausstellungen
angeboten.
Wie "Kultur im Ghetto“
gestern in Frankfurt mitteilte, ließ sich der Leipziger Komponist Stache
für das Jubiläumskonzert "Zahlen!Spiele?" von Frankfurt als
"Bankenstadt" inspirieren. In dem Konzert thematisiert der Komponist mit
Plastikflaschen den Fluglärm. Eine getanzte Choreographie auf
Kontaktplatten, die beim Betreten Töne erzeugen, soll auf die
bestehenden Gegensätze zwischen Arm und Reich hinweisen. Morgendlichen
Reinigungskolonnen widmet sich eine Komposition für einen
selbsterfundenen "Sprachwagen". Dieser erzeugt elektronisch beim Fahren
verfremdete Worte.
Stache ist in der Musikszene
durch seine Erfindungen von ungewöhnlichen Instrumenten bekannt
geworden. Er ist Preisträger von "Musik Kreativ", gestaltete für "Kultur
im Ghetto" schon 1997 das Projekt "Arbeitswelt und Musik" und 1999/2000
"dans lesson".1998 war er Gast des Ensemble Modern und 2003 bei "pol".
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Frankfurter Rundschau, 2. Mai 2002:
Repression
kann keinen Swing vertragen
"Schlechte Zeiten für gute Musik?": Symposien und Konzerte
zum Verhältnis von freier Musik und totalitärem Staat
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Natürlich ist Jazz subversiv. Seine Ausprägung von Individualität und
die Verantwortung, die er jedem einzelnen Musiker abverlangt, sträuben
sich gegen Vermassung und Vereinfachung. Selbst zu Eisler-Märschen konnte
man noch im Stechschritt paradieren, mit Jazz dagegen ist kein Staat zu
machen: Über die Wechselwirkung zwischen Musik, Staat und
Gesellschaftsformen wollte jetzt die Frankkfurter Veranstaltungsreihe
"Schlechte Zeiten für gute Musik?" nachdenken. Als Beispiel diente die
Arbeit des 1986 im Exil gestorbenen südafrikanischen Komponisten und
Bassisten Johnny Dyani.
Ein positive Überraschung war die Einheit von Theorie und Praxis. So
hatte der Hamburger Musikwissenschaftler und Publizist Peter Niklas Wilson
zu einem Referat über die Musik Dyanis seinen Kontrabass mitgebracht und
führte die typischen Riffs gestrichen und gezupft mit jenem treibenden
Swing-Feeling vor.
Und als Emil Mangelsdorff in einem Gesprächskonzert über die täglichen
Repressalien erzählte, denen ein junger Mann seiner Generation ausgesetzt
war, der "entartete Musik" hörte und spielte, tat er das mit einer Stimme,
die der Wärme seines Altsaxophons entspricht, das sich wiederum mit seinen
Quartett-Kollegen Janusz Stefanski (dr), Vitold Reek (b) und Thilo Wagner
(p) eindrucksvoll verdichtete.
Bert Noglik, intimer Kenner der osteuropäischen Szene, brachte in
seinen Tonbeispielen Symptomatisches der polnischen Jazzentwicklung dar
und zeigte, wie stark die amerikanischen Einflüssen zu Anfang waren und
wie man sich immer stärker - ähnlich der Entwicklung in der Sowjetunion -
auf Eigenständiges besann.
Ähnliches galt für Südafrika: Vusi Muckunu lebt nach langer Zeit im
Exil (er gehörte zu den Begründern des Berliner Hauses der Kulturen der
Welt) und arbeitet jetzt wieder in seinem Heimatland. Er fand die rechten
Worte für den nach wie vor starken Einfluss afrikanischer Tanz- und
Popmusik auf den Jazz. Neville Alexander, der jahrelang mit Nelson Mandela
im Gefängnis saß, bot Beispiele für den politischen Befreiungskampf, der
nie zu trennen war von Musik.
Vier lange Tage und Nächte mit Symposien und Konzerten im Gallustheater
und mehreren Kirchen brachten Kopf und Bauch zusammen. Wolfram Knauer,
Leiter des Jazzinstituts in Darmstadt, und der Vibraphonist Christopher
Dell leiteten die meisten Diskussionen, und ihrer aufmerksamen Art
(einschließlich eigener Beiträge) war es zu verdanken, dass bei dieser
Mammutveranstaltung keine Sekunde Langeweile bei diesem kundigen,
interessierten Publikum aufkam.
Die Konzerte belegten, dass Musik Klang, Zeit und Raum ist: Als
Hans-Günther Wauer an der Orgel der Dreikönigskirche über dem Westlettner
saß und Louis Moholo am Schlagzeug vor dem Altar, konnte sich auf Grund
der räumlichen Distanz keine Gleichberechtigung der Impulse ergeben. Tags
drauf, in der St.-Gallus-Kirche, saßen die beiden dichter zusammen, und
als dann Ernst-Ludwig Petrowsky mit dem Saxophon das Kirchenschiff
durchschritt, entstand eine wahrhafte Raumnahme.
Und natürlich waren Weggenossen Dyanis dabei: John Tschicai, Harry
Beckett, Makaya Ntschoko und Ernst Mothle gaben in der Brotfabrik und der
Paul-Gerhardt-Kirche jeweils einen Quartett-Auftritt, und das große
Abschlusstableau brachte neun Musiker auf die Bühne, die (mit zwei
Schlagzeugen und zwei Kontrabässen) die Konzentration auflösten in
ausgelassenes, fast hypnotisches Treiben eines "African Market Place", bei
dem Menschen und Musik nie zu trennen sind. (Michael Rieth)
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Ppresse-stache-1997
- Bernhard Uske (USK)
Bernhard Uske - FR, 13. Sept. 1997
Erwin Stache
Klangmaschinen-Zauber
Erwin Stache
gehört zu den Komponisten, die seltener vor dem Klavier oder am
Schreibtisch sitzen, sondern eher in der Werkstatt oder in Betrieben
arbeiten: Instrumente bauend, Geräusche aufnehmend, Installationen
einrichtend. Mit seinem neuesten Projekt widmet sich der Leipziger
Musiker, Objektbauer, Ideenentwickler und Klang-Erfinder der Maingas-AG
sowie der Union-Druckerei. Als Ouvertüre seiner Frankfurter Arbeit gab
er ein Konzert im Gallus-Theater, das von „Kultur im Ghetto"
ausgerichtet wurde. Die Gruppe versteht kulturelle Stadtteilarbeit
einmal nicht als Anbieten von folkloristischen Tanz- und Kochkursen,
sondern als fortgeschrittene ästhetische Auseinandersetzung mit den
politischen und sozialen Zuständen außerhalb der Vereinshäuser und
Konzertsäle.
Mit Stache fand
man einen Mitstreiter, dem ein Grillrost, ein Tischfußballspiel oder die
gute alte Ikea-Kleiderablage in Gestalt eines hölzernen Scherengitters
Klanginstrumente sind. Mit kontaktmikrophonischer Verstärkung und
SampIer ließen sich alle möglichen Ton-GeräuschMutanten erzeugen, die
dem Künstler zur Präsentation seiner selbst als virtuoses
Einmannorchester verhalfen, wobei er als Pianist und jazziger Bassist
auch noch manches Solo hinzufügte.
So profan und
alltäglich die jeweilige Klangbasis auch sein mochte - mit der digitalen
Klangzauberei, für die es natürlich am Mischpult eines die Fäden
ziehenden Zauberlehrlings bedurfte, entstanden Szenen, in denen Stache
nicht nur wie ein Dr. Caligari in seinem Kabinett wirkte. Zuletzt
präsentierte er eine Installation schwarzer Schachteln, die beim Öffnen
und Schließen Klänge, Gesprächsfetzen und Geräusche von sich gaben, und
den Künstler wie in einer Phantasie E.T.A. Hoffmanns im Kreise seiner
geheimnisvollen Objekte rotieren ließen. usk
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Alles im Eimer
Michael Sells
Telemann-Rekomposition ,,La Bourse - die Börse" uraufgeführt
Von Hans-Jürgen Linke (Okt.1994)
Der Börsenkrach von 1720 war in der Frankfurter
Wirtschaftsgeschichte kein sehr einschneidendes Ereignis, aber immerhin wurde
er kulturgeschichtlich prominent:
Georg Philipp Telemann, der bis 1721 in Frankfürt lebte und arbeitete, komponierte in Auseinandersetzung mit dem
Börsenkrach die Suite ,,La Bourse«. Das war insofern konsequent, als Telemann
sich ohnehin dem Bürgertum als Publikum zugewandt hatte. Dennoch ist es etwas
übertrieben zu sagen, Telemann habe in seiner Suite den Börsenkrach
dokumentiert. Denn ohne die Titeln der Sätze wäre der Bezug auf die Börse
kaum nachvollziehbar.
Der Frankfürter Komponist Michael Sell ist 274 Jahre
später einen Schritt weitergegangen bei seiner Rekomposition (er selbst
spricht bescheiden von einer ,,konzertanten Interpretation") des Werkes, die
jetzt im Gallus-Theater und im Atelierschiff unARTig uraufgeführt wurde.
Erstens reflektiert Sell die Kontinuität des Wirkens der Börse in Frankfürt
und weltweit. Zweitens faßt er Telemanns Arbeit als Programmusik auf: Die
klare Regelhaftigkeit der barocken Suite (die Sell zum Teil zitierend, zum
Teil als Startrampe, zum Teil auch notengetreu, aber neu instrumentiert
verwendet, so daß Wiedererkennbarkeit sich in Grenzen hält) erscheint in
dieser Perspektive als Reflex des streng regelhaften Wirkens der börsianischen
Gesetze. Kontrastierend setzt Sell dagegen Ausbrüche, Einbrüche, drohende
Schläge auf der großen Trommel - musikalische Gestalten dessen, was man
Börsenkrach nennt. Und im letzten Satz (bei Telemann: ,,Die Mississippi
Hoffiiung") sieht und hört man buchstäblich, daß alles im Eimer ist, wenn
Malte Burba den Trichter seiner Trompete in einen Wassereimer taucht.
Sells Komposition ist unaufwendig, aber mit hohen
Schwierigkeitsgraden für drei Musiker instrumentiert, und der Untertitel
signalisiert nicht eben einen alteuropäisch-hehren Werk-Anspruch. Doch ist bei
der Interpretation des Notentextes soviel Präzision intendiert, daß Sell
selbst bei der Trio-Besetzung aufs Dirigieren nicht verzichten mag. Die
dynamische und intonatorische Komplexität der Musik rechtfertigt das vollauf.
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PPresse-Sell-Nachtderbörse
Bernhard Uske (USK)
FR 18. Nov. 2002 Bernhard Uske
Michael Sell
Klangspekulanten
Die lange Nacht
der Börse will und will nicht weichen und beschert so manchem Anleger
heftige Schlaflosigkeit. Die "lange Nacht der Börse", die Michael SeIl
samt Hölderlin-Trio und Jugend·Musik-Ensemble verantwortete, dauerte
gerade einmal fünf einhalb Stunden und bescherte den Zuhörern ein wahres
Kursfeuerwerk. "Neueste Musik zur ältesten und fragwürdigsten
Institution der Finanzmetropole Frankfurt am Main, basierend auf einet
Suite aus dem Jahre 1720 von Georg Philipp Telemann" hatte der
Veranstalter, Kultur im Ghetto, das stadtraumgreifende Wandelkonzert
genannt. Vier Gotteshäuser waren für das Projekt gewonnen worden, einen
musikalischen Parketthandel jenseits des "Orts bar jeder Vernunft" zu
eröffnen.
Statt Bär und
Bulle, den Symbolen der freien Wildbahn, hier also das Kreuz - das Kreuz
mit der Börse. Da aber bei der Scheinwelt Kunst im Gegensatz zur
Scheinwelt Börse immer klar ist, dass nur gespielt wird, war es eine
wahrhaft beglückende, vierteilige Börsensitzung. Da waren selbst die
wildesten Kurssprünge, Spekulationskäufe und gellenden Abstürze, für die
SeIls zerklüftete, rasant-rabiate Klangsprache wie geschaffen ist, als
ohrenfällige Gewinnmitnahmen hochwillkommen. In Bornheims
Johanniskirche, in Sachsenhausens Dreikönigskirche, in der Nikolaikirche
am Römerberg und in St. Katharinen bot das Hölderlin-Trio kleinere und
größere Motiv·Klümpchen und Intervallbrocken vom alten Telemann in einem
gärenden und überquellenden KlangAuflauf, der den perfekten
Sell-Analysten Burba (tr), Prappacher (vIa) und Riermei. er (perc)
mittlerweile, und nach den vier Durchläufen erst recht, Leib· und
Magengericht ist.
Das Finale in
St. Nicolai hatte tatsächlich etwas von einer rauschenden
Nikolausbescherung, wo sich Anleger-Gläubigkeit und Dax-Beschränktheit
zum schönsten Klangspekulatius gewandelt haben. Als Kontrastfolie zur
Telemann-Dekonstruktion gab es Teile aus dem Original, das so sinnige
Satztitel hat wie Die besiegten Sieger und Die gemeinsame Einsamkeit,
gespielt von den beherzten Mitgliedern des blutjungen Laienorchesters
unter Leitung des 22jährigen, animierenden Christian Münch. usk
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Eisenacher Allgemeine am 24. Juni 2008
Erstklassige Ensembles
Ein Resümee zum Auftaktwochenende der Telemann-Tage |
Die 13. Eisenacher Telemann-
Tage sind
eröffnet.
Schirmherr
Oberbürgermeister
Matthias Doht
(SPD) hob in seiner Eröffnungsrede die Bedeutung
Georg Philipp
Telemanns
für Eisenach
hervor und
stellte ihn in
die Reihe mit
Johann
Sebastian Bach und
Richard
Wagner.
EISENACH.
Wenn auch
Wagner in Eisenach
nie
musikalisch auftrat, sondern
nur als
Schauplatz einer Oper
die
Wartburg wählte, ließe sich
die Reihe
besser mit Richard
Strauss
(Uraufführung 1890
von „Tod
und Verklärung“) u. a.
vervollständigen. Dank wurde
von Dr.
Claus Oefner allen
Sponsoren
ausgesprochen. Ohne
die
Unterstützung wären die
Festtage
nicht durchführbar.
Die
Eisenacher Landeskapelle
gibt es in
ihrer sinfonischen
Form nicht
mehr. Dass es aber
kammermusikalisch weitergeht,
zeigen die
Telemann-Tage.
Zwei
Orchestersuiten im Eröffnungskonzert rahmten eine
konzertante
Interpretation von
„La Bourse“
ein, von Telemann
aus dem
Jahre 1720 vom Liebfrauenberg in Frankfurt/Main der Welt
überlassen - für Trompete, Viola und Schlagwerk.
Das
Hölderlin Trio unter der
Leitung des
Komponisten Michael
Sell
brillierte damit. |
Malte Burba mit seinen Trompeten
vollbrachte
eine wahre Meisterleistung (auch physisch).
Da
Telemanns Original „La Bourse“
dem Abend
voranging, konnte
man in
Sells Komposition gut
die Bezüge
heraushören. Sieben
in
historischer Aufführungspraxis
geschulte
junge Musiker hatten
sich unter
der Leitung von
Ferdinand
Grychtolik für dieses
Konzert
zusammengetan. Ihr
engagiertes
Spiel ließ keine
Wünsche
offen. Das Publikum
wusste die
Qualität des Konzertes
zu
schätzen.
Zwei
weitere Ereignisse waren der Kirchenmusik Telemanns gewidmet.
Unter Leitung vonKMD Christian Stötzner erklangin der
Nikolaikirche innerhalbdes Gottesdienstes am
Sonntag die
Kantate „Sei still, zerreiß der Nahrung Netze“. Telemanns
Kantaten sind kürzer und in der Ausführung oft weniger aufwendig
als die Johann Sebastian Bachs. Das hatte Musikwissenschaftler
einst
veranlasst,
sich geringschätzig
über diese
Werke zu äußern. Heute ist die Fehleinschätzung überwunden. Der
Zuhörer gewinntzunehmend Freude an
den
Kompositionen. Ein Chorkonzert des Bachchores unter der Leitung
von KMD Christian Stötzner am Nachmittag zeigte erneut den
Unterschied. Drei kurze Motetten Telemanns standen der
wesentlich längeren Bachs „Jesu, meine Freude“ gegenüber. |
Das Ambrosius-Kammerorchester
übernahm
den Instrumentalpart.
Bachs Messe
gmoll
und zwei
seiner Orgelwerke,
interpretiert durch Andrea
Malzahn,
vervollständigten das
Konzert.
Werke beider Komponisten
in einem
Konzert zu musizieren,
kann man
als tönenden Beweis der
Freundschaft beider
betrachten.
Der
Glanzpunkt dieses Festwochen-
endes war
natürlich das Konzert im
Rokokosaal. „Dich teure Halle
grüß ich wieder“ könnte man
euphorisch ausrufen.
Viele Jahre
musste der Raum im
Dornröschenschlaf verharren. Nun
strahlen die in die Gewandung eingelassen
Gemälde wieder. Die
Mitteldeutsche Barock-Compagney
schenkte den Zuhörern
ein beeindruckendes
Konzerterlebnis.
Vier Instrumentalkonzerte Telemanns
nahmen ein
Solokonzert für Cembalo
in ihre
Mitte, deren Interpretin
Monica
Ripamonti-Taylor war.
Die
Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten
Telemanns
wurde so unter
Beweis gestellt.
Frank-D.
Müller überreichte dem OB am
Ende die Gastgeschenke, die die
Musiker im polnischen
Zary, dem einstigen
Wirkungsort
Telemanns, dem Sorau,
überreicht bekamen.
Gottfried
MEYER
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Bernhard Uske (USK)
HEIM-VORTEIL:
Burba spielt Sell
usk · Wasser, Luft und Blech - das sind die Elemente, aus
denen Michael Sell auf seiner neuen CD Musik machen lässt. Musik, die ein
ausgefeilter Beschuss mit zahllosen Klangschrapnells ist, Musik, die wie
eine Legierung aus klassisch-seriellen Intervallknäueln und frei
improvisierten Espressivo-Gesten wirkt: eine fast im Sekundentakt zündende
und detonierende Klangfront.
Eine CD, exklusiv mit dem Kanonier solcher Michael-Sell-Attacken, mit Malte
Burba, diesem an trompetuöser Strahlkraft und Behendigkeit kaum zu
überbietenden Talent, war überfällig. Einem Musiker, dem bei allem
knatternden und schneidenden Trompetenfuror auch grandiose
Metall-Koloraturen gelingen und der selbst bei den heftigsten Explosionen
wie ein Florettmeister ficht. Sechs Werke aus den vergangenen zehn Jahren
des Sellschen Klanglaboratoriums sind auf dieser Veröffentlichung zu hören
und die lassen den avantgardistischen Maurice André mit seiner gesamten
Blasrohrbatterie, angefangen vom Alphorn bis zur Piccolo-Trompete, zu Gehör
kommen.
Aber auch als Geist über den Wassern, in die der siebenundvierzig Jahre alte
Mainzer und Luxemburger Instrumentaldozent via Schalltrichter klangvoll
hineinbläst, ist Burba zu erleben. Bagatelle op. 61800/3 heißt das
Werk, in dem die von Malte Burba in Wallung gebrachte metallische
Flüssigkeit, jenes schwere Wasser in quecksilbriger, perlender Klanggestalt
eine großartige Bereicherung des Sellschen Klangkosmos ist.
Eine ähnlich fesselnde Klangeroberung sind die von Burba bedienten
Luftdruck-Vertile in Passion op 718800/3, die gerade in ihrem
kompakten Volumen aus Nichts ein kurios-konstruktives, tektonisches Moment
ins Spiel bringen.
Mit zahlreichen anderen Trompeten-Schlächtern macht sich Malte Burba
schließlich über seine metallische Luft- und Lippenverlängerung her, um sie
als "hammering man" klangvoll in goldglänzendes Blech zu verkloppen.
Malte Burba spielt Michael Sell, MISP Records CD 525. Zu bestellen
unter der Telefonnummer 069 / 583319 od. Fax 069 / 576579.
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"Die Welt ist zu klein für eine Tuba"
konstatiert die
Frankfurter
Rundschau (Tim Gorbauch)
"Echo nomia 4.4" heißt das Stück, komponiert von Pinguin Moschner im Auftrag der Projektgruppe Kultur im Ghetto als Reflex auf die kontroverse Diskussion um ein Mahnmal für eine gerechte Weitwirtschaftsordnung, das nach dem Willen der Initiative im Bankenviertel einen Platz flnden soll. Man hört Moschners Werk den schwergewichtigen Anlass an, schneidende, kurze, abgerissene Töne diktieren das bedrohliche Geschehen, das den Aufschrei und die Ohnmacht zu musikalisieren scheint und doch, gegen Ende, die Utopie nicht vergisst. Allmählich erhalten melodische Gestalten Eingang in die geballte Textur, und schließlich finden sich die vier Tubastimmen zu einem Abgesang zusammen, der zu vorsichtig und zart ist, um kitschig oder verklärt zu
wirken".
In
Moschners Komposition mit ihren weiten improvisatorischen Anteilen wird für die
Konzertbesucher erfahrbar, wie Arbeitsteilung durch ständig neue Verteilung der
Rollen in der Gruppe wirksam ist. Hier wird die Emanzipation der Instrumente
anschaulich umgesetzt. Und es ist unvorstellbar, daß kompetentes Musizieren
auch anders möglich sein könnte.
"Lustvoll
und mit sicherem Ohr loten die vier die schier endlosen Grenzbereiche zwischen
Ton und Geräusch aus und präsentieren so ein Spektrum, das seinesgleichen
sucht.
...Manche Klänge scheinen aus einer Urtiefe des musikalischen Raums zu kommen, von der nicht einmal Richard Wagners Rheingold-Eröffnung eine Ahnung hatte, andere wiederum schweben und scheinen fast durchsichtig. Und manche wieder sind gar nicht wirklich identifizierbar, ähneln mal menschlichen Lauten, mal elektronisch verzerrten Didgeridooklängen. Bis man die Augen öffnet und nichts sieht außer Blech, viel, viel Blech. Und spätestens dann wird einem klar, dass die Welt zu klein ist für eine Tuba."
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PPresse-Echo
(CD Echo Nomia - 2003):
Musik und Gerechtigkeit
Das European Tuba Quartet
VON HANS-JÜRGEN LINKE
Nur die Ruhe. Vier Tuben, das ist zwar viel
glänzendes Metall, aber das European Tuba Quartet produziert damit keinen
Demonstrations-Lärm, auch wenn es in dem zentralen Werk des Abends, Pinguin
Moschners Echo-Nomia 4.4., um die musikalische Thematisierung einer
gerechten Weltwirtschaftsordnung geht, für die das Stück als immaterielles und
daher an jedem Ort inszenierbares Mahnmal konzipiert ist.
Weil es von vier Blasmusikern aufgeführt wird, die dafür keinen Strom
brauchen, ist es optimal beweglich, und die massive Präsenz der vier
Instrumente und Instrumentalisten gibt jeder Aufführung zugleich den Charakter
einer Klanginstallation.
Dem fügt sich auch die musikalische Gestalt des European Tuba Quartet. Die
Kompositionen sind klar gebaut, so dass man strukturelle Verläufe während der
Aufführung gut nachvollziehen kann, und die Klanggebung folgt der Absicht, den
Raum zu füllen und die Ungeduld pulsender Rhythmen zu suspendieren.
Der handwerkliche, physische Charakter der Musik, das Atmen und das
sorgfältige Gestalten sind stets zu spüren. Schrille, scharfe Töne und
dissonante Reibungen sind keine Tabuzonen, sondern dienen einer
Kontrastbildung, die bei aller versammelten Ruhe der Musik eine enorme
Lebendigkeit und Ereignisdichte geben.
Im halligen Innenraum einer Kirche (die Frankfurter Projektgruppe Kultur im
Ghetto richtete ein Konzert in der Katharinenkirche und eines in der
Weißfrauenkirche aus) entstehen zuweilen entkonturierte, schwebende
Klanggebilde, mit denen die Aufführung der vier Tubisten rechnet und deren
Wolkigkeit die Aufmerksamkeit nach oben zu lenken scheint.
Und vielleicht ist das diffuse Oben ja der utopische Ort, an dem wir
Hoffnungen (wie die auf eine gerechte Weltwirtschaftsordnung) unwillkürlich
zuallererst lokalisieren. Anlass des Konzerts war unter anderem das Erscheinen
einer CD mit dem gespielten Repertoire, das mit der intelligenten,
klangreichen und bei aller Klarheit immer auch überraschenden Musik des
European Tuba Quartet bekannt macht.
European Tuba Quartet: Die CD heißt wie das zentrale Werk darauf
Echo-Nomia 4.4
und
ist erhältlich bei
info@buch-ton.com
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P
oe1-orf
Freitag, 27. Februar 2004
-
23:05 Uhr
Hertz-Damen auf Flügeln zum
Super-Paradies
Die vielen Facetten des Michael Sell
Opus 5593 "Tod
und Wiedergeburt , opus 31800 "Sonett", opus 16696 "Super
Paradise". Michael Sell wurde als Komponist mit den vier- und
fünfstelligen Opus-Zahlen bekannt. Doch handelt es sich nicht um
einen Gag; diese Nummerierung bezeichnet einfach das Datum der
Fertigstellung des jeweiligen Werkes - und der 5. Mai 1993
lieferte eben die Opus-Zahl 5593.
Dass damit ein enormer Output an Werken suggeriert wird,
entspricht durchaus dem Schaffensdrang des Frankfurter
Komponisten. Unzählige Details in seinen Werken sind als
eigenständige kompositorische Lösungen (und selbst als
Kompositionen) zu verstehen, die durchaus als eigenes Opus
gesehen werden können. In vielfacher Verknüpfung und Variation
werden sie in diverse Musikstücke von Michael Sell eingebracht.
Grafische Partitur
Der 1942 in Königstein im Taunus geborene Michael Sell hat immer schon
eigene Wege verfolgt und ganz besondere Methoden entwickelt, um seine
musikalischen Vorstellungen zu verwirklichen. Er begann schon früh, seine
Kompositionen auf riesigen Partitur-Seiten darzustellen, die bis in Details
der Phraseologie erschöpfend festgehalten wurden.
Auch schreibt er seinen Musikern einzigartige Spielweisen vor: Ein Alphorn
wird mit einem Fagott-Mundstück geblasen, ein Schlagzeuger schlüpft in einen
präparierten Anzug, um als "Kriech-Perkussionist" tätig zu werden. Und zur
Verdeutlichung seiner detaillierten Notationen malt Michael Sell nun auch
farbige grafische Partituren, um sich den Musikern assoziativ mitzuteilen.
Solche hat er auch als Cover für diverse CD-Alben verwendet.
Zerschnittene Businen
"Tod und Wiedergeburt"
etwa heißt ein Stück, für das die Musiker eines Businen-Orchesters (Businen
sind einfache Blechinstrumente, die früher als Signalhörner auf Baustellen
verwendet wurden) ihre Instrumente zerschneiden und sie auf Holzbretter
nageln. Die so entstandenen Skulpturen werden zum Teil der nächsten
"Groß-Partitur", wie Michael Sell seine musikalischen Grafiken nennt, etwa
für die Stücke für drei Flügel, die untereinander um jeweils drei Hertz
verstimmt sind.
Da wiederum ist jede Konstellation von Tönen und Akkorden genau ausgehört,
jeder Effekt der "Verstimmung" exakt vorausbestimmt und als Verführung in
ein opulentes Klangbad angelegt - und dann gibt es diese Stücke in
"schattensynchronen Vervielfältigungen" durch Arrangements für Bläser,
Perkussions-Quartett und Ringmodulator in mikrotonaler Kontrapunktik.
Ein Musiker auf solitärem Weg
Michael Sell wuchs in einer Musiker-Familie auf, spielte seit seiner
Kindheit diverse Instrumente, am liebsten die Trompete. Als Student fand er
den Weg vom Old Time Jazz zum Modern Jazz. Er gründete ein eigenes Trio, mit
dem er sogar eine LP aufnahm, bei der als Gast der Saxophonist Heinz Sauer
mitwirkte, ein Weggefährte des Avantgarde-Posaunisten Albert Mangelsdorff.
Mit eigenem Quartett ging er 1978 im Auftrag des Goethe-Institutes auf
Tournee durch Jugoslawien. Und Michael Sell nahm dies zum Anlass, nur mehr
eigene Kompositionen zu spielen. Eine LP mit dem Titel "Jugoslawische
Quartette" dokumentiert diesen Durchbruch.
Raum-Musik
1988 entstand für das Musikfest in Donaueschingen das Werk "Sechs Fürsprüche"
für Soli, Chor und Orchester. Im Auftrag der Alten Oper Frankfurt schrieb
Sell das Oratorium "Hiroshima mon amour" nach Texten von Marguerite Dumas.
Doch auch diese Arbeiten für herkömmliche Orchester und Ensembles scheinen
Sells kompositorische Ideen allzu sehr eingeschränkt zu haben. In der
"Raum-Musik" von 1994 wird die Akustik selbst thematisiert.
Und
im selben Jahr entsteht im Auftrag der Projektgruppe "Kultur im Ghetto"
die "Konzertante Interpretation von 'La Bourse' des Georg Philipp
Telemann". Interpretiert wird - mit allen Mitteln der musikalischen Praxis -
eine Suite von Telemann, welche dieser im Jahre 1720 schrieb - eine
Programm-Musik über den Zusammenbruch der Frankfurter Börse nachdem sich die
"Mississippi-Aktie" für die Anleger als Betrug erwiesen hatte.
Text: Giselher Smekal
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